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Adel (35) „Ich habe meinen Traum gelebt, dann ist mein Traum im Krieg gestorben“

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1000Gesichter.info erzählt die Geschichten hinter den Menschen, die in diesen Tagen zu uns kommen: Ihr Leben vor der Flucht, ihre Zukunftspläne und ihre Träume, Wünsche und Ängste. Heute die Geschichte von Adel, einem 35jährigen Philosophielehrer aus Damaskus, der seine Familie, seine Liebe und seine Träume hinter sich lassen musste.

Adel lächelt freundlich während er in der warmen August-Sonne auf einer Bierzeltgarnitur vor der Gemeinschaftsunterkunft in Bad Schönborn sitzt. „Kannst du das wiederholen? Wie schreibt man das?“, fragt er auf englisch. Der hochgewachsene Mann schreibt einen deutschen Satz in Lautschrift in sein Notizbuch, den er sich gerade erfragt hat. Der 35jährige Lehrer aus Damaskus bringt sich selbst Deutsch bei, fragt viel, schaut sich Youtube-Videos mit kleinen Sprachlektionen an und schüttelt manchmal auch den Kopf – die deutsche Sprache ist schwer.

Aber Adel hat sich fest vorgenommen die Sprache und die Kultur so schnell wie möglich zu erlernen. Er möchte arbeiten, in welcher Position ist ihm erst einmal egal: Hauptsache er hat Arbeit und Einkommen. „Ich würde natürlich gerne wieder als Lehrer arbeiten. Oder bei einem Goldschmied. Das kann ich ein wenig.“

Ob er in Deutschland dauerhaft bleiben möchte, das weiß Adel noch nicht. „Vielleicht gehe ich auch eines Tages in die USA. Und hole meinen Vater noch nach.“ Dieser lebt zurzeit noch in Syrien. Adel und sein Vater telefonieren mehrmals in der Woche über die Messenger-App Skype auf Adels Smartphone – der syrische Lehrer nutzt dazu eine Prepaidkarte.

(Foto: Jochen G. Fuchs)

(Foto: Jochen G. Fuchs)

Der Philosophie-Lehrer, der Iron Maiden hört

Im Allgemeinen ist der höfliche junge Mann gleichermaßen wissbegierig wie mitteilsam. Er erzählt viel über syrische und arabische Kultur und versucht Kulturunterschiede zu deuten und zu erklären. Sein Lieblingslektüre ist passenderweise die Geschichte der Religionen, das hilft beim Deuten der kulturellen Unterschiede. In der Gemeinschaftsunterkunft hat er eine Art Botschafterrolle:  Adel dolmetscht viel zwischen Besuchern und Flüchtlingen, denn aufgrund seines Bildungsstandes spricht er recht gut Englisch. Zwischen ihm und den Flüchtlingen aus den arabischen Ländern besteht eine spürbares Vertrauensverhältnis, manche bitten ihn um Rat, manchmal wirkt er auch beruhigend auf erhitzte Gemüter ein.

Am liebsten isst Adel einen syrischen Reisauflauf mit Rindfleisch namens Maqluba, ein deutsches Lieblingsgericht hat er noch nicht – dazu ist er noch nicht lange genug in Deutschland. Er hört gerne Metal von Iron Maiden, aber auch Queen, Guns and Roses und Metallica. „Allerdings nur die alten Sachen, die neuen finde ich nicht so toll.“ Sonst dürfe es auch gerne mal Christina Aguilera, Jennifer Lopez oder der in arabischen Ländern sehr beliebten Sängerin Fayrouz sein, erklärt er.

Adels Leben vor der Flucht

Adel an der Unversität in Damaskus. (Foto: Adel)

Adel an der Unversität in Damaskus. (Foto: Adel)

In Adels Geburtsjahr 1979 ist in Syrien kein Krieg. Der junge Syrer kann im Laufe der Jahre studieren, seinen Abschluss machen und dann eine Stellung an einer privaten Mittelschule in Damaskus annehmen: Dort unterrichtet Adel Teenager im Alter von etwa 17 Jahren in Philosophie.

Adel unterrichtet nicht nur in Damaskus, er lebt auch dort. Eine eigene Wohnung ist in der syrischen Großstadt sehr wichtig, denn die Miete kann in Damaskus schnell mehr als die Hälfte des Gehalts auffressen. Ein Wohnungskauf ist eigentlich unerschwinglich für Adel. Sein kleines Gehalt von 25.000 syrischen Pfund, was etwa 80 Euro monatlich entspricht, erlaubt keine großen Sprünge. Erst mit Hilfe der gesamten Familie kann sich Adel für einen sechsstelligen Euro-Betrag eine eigene Vier-Zimmer-Wohnung und damit ein wenig Wohlstand verschaffen.

Adel vor einem Restaurant in Damaskus. (Foto: Adel)

Adel vor einem Restaurant in Damaskus. (Foto: Adel)

Dann kommt der Tag, an dem der Krieg in sein Leben tritt. Er hat Angst vor den Rekrutierungskommandos, die durch die Straßen ziehen und jeden syrischen Mann versuchen in die Armee zu pressen. Er will nicht töten, aber auch nicht getötet werden. In aller Stille und Heimlichkeit bespricht er sich mit seinem Vater, kratzt seine Ersparnisse von etwa 2000 US-Dollar zusammen und lässt sich von seiner Mutter aus den USA noch 5000 US-Dollar transferieren. Ohne diese Unterstützung wäre seine Flucht unmöglich.

Flucht aus Damaskus

Am ersten Mai ist es soweit, in der Nacht packt Adel seine Sachen: sein Geld, ein wenig Kleidung und etwas Nahrung. Er lädt als Vorsichtsmaßnahme alle Dokumente in einen Cloudspeicher. Als letztes schnappt er sich sein Smartphone – der wichtigste Gegenstand für die Flucht. Nur so bekommt er bei langen Fußmärschen die Richtung mit und kann sich orientieren, kann über Facebook Informationen austauschen und Kontakt mit Freunden und Verwandten halten.

Sein Vater ist bei ihm, die beiden Männer liegen sich ein letztes Mal in den Armen. Sie weinen. Er verabschiedet sich von seinen Freunden und seiner Freundin. Dann reißt sich Adel los und tritt um 05:00 Uhr in der Nacht hinaus in die Dunkelheit. Während seine Schüler in die Schulferien entlassen werden, beginnt er gehetzt vom Gedanken an die Armee, seine Flucht.

Mit Taxis, eine kleine Strecke lang auch mit einem Flugzeug und verschiedenen Zügen bewegt sich Adel etwa einen Monat lang quer durch den Nahen Osten und die Mittelmeerregion: Er setzt in einem Acht-Meter-Boot mit 35 anderen Flüchtlingen für rund 900 US-Dollar über das Mittelmeer über und beginnt schließlich den Fußmarsch durch Süd- und Nordeuropa. Immer wieder laufen, laufen, laufen, laufen. Kilometer für Kilometer. Horrende Summen an Schlepper, reguläre Zugtickets, Taxigebühren und kleinere Bestechungsgelder in Syrien und Ungarn helfen ihm voran. Bis er schließlich am 30. Mai in Deutschland ankommt und dort auf einer Polizeistation um Asyl bittet.

Adels Traum

In Deutschland sitzt Adel nun vor einer kahlen Containerwand und erzählt von seinen fernen Träumen: „Ich möchte eines Tages dabei helfen Syrien wieder aufzubauen“. Und er spricht über den einen Traum, den er schon leben durfte als Philosophie-Dozent. „Ich habe meinen Traum gelebt, ich durfte anderen Menschen dabei helfen ein besserer Mensch zu werden.“ Er schaut traurig auf den Tisch, zum zweiten Mal an diesem Abend: das erste Mal als Reaktion auf die Frage nach seiner Freundin. „Jetzt ist mein Traum gestorben.“, sagt er leise. Er blickt wieder auf und sagt „Im Krieg gewinnt niemand, alle sind Verlierer.“

Adel in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft Bad Schönborn. Die Containersiedlung beherbergt im Moment rund 200 Flüchtlinge. Jeder Bewohner teilt sich ein Zimmer mit mehreren Mitbewohnern. (Foto: Jochen G. Fuchs)

Adel in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft Bad Schönborn. Die Containersiedlung beherbergt im Moment rund 200 Flüchtlinge. Adel teilt sich ein Zimmer mit zwei Mitbewohnern. (Foto: Jochen G. Fuchs)

An diesem Abend wird er „I dreamed a dream“ auf Facebook posten, die klagende Hymne aus dem Musical zu Victor Hugos Meisterwerk über die französische Revolution „Les Miserables“.

Kategorie: Porträts

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Chefredakteur von 1000Gesichter. Wirtschaftsjournalist und Redakteur bei www.t3n.de. Ehrenamtliche Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe IN Bad Schönborn und Kronau e.V in den Arbeitsgruppen Öffentlichkeitsarbeit und Recht. Folgen: www.facebook.com/jochengfuchs oder www.twitter.de/jochengfuchs

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